KREIS HASSBERG
Soziale Netzwerke kennen keinen Tod
Michael Mößlein18. November 201615:20 UhrAktualisiert am:
19. November 2016
15:45 Uhr
Das Internet vergisst nichts – und niemanden. Das Internet ist unsterblich – und es lässt diejenigen, die es nutzen, weiterleben, über deren Tod hinaus. Vor allem soziale Medien spielen deshalb für Trauernde eine immer wichtiger werdende Rolle. Dies gilt bei weitem nicht nur für junge Menschen.
Der Internetseelsorge öffnen sich dadurch neue Bereiche. Und Trauerberater sehen im virtuellen Umgang mit den Folgen von Tod und Sterben Fluch und Segen zugleich. Beides liegt verdammt eng beieinander. Wo das Gute aufhört und der Schaden beginnt, ist auf den ersten Blick oft nicht zu erkennen.
Bei Facebook wird besonders gut sichtbar, wie Nutzer von sozialen Netzwerken im Internet mit dem Tod umgehen. Dort treffen zudem alle Altersklassen aufeinander, fast wie im realen Leben. Doch hat die virtuelle Plattform einen entscheidenden Unterschied zur wirklichen Welt: Mit dem Tod eines Menschen verschwindet dessen Facebook-Profil nicht automatisch von der Bildfläche. Solange keiner das Profil löscht, existiert es fort.
Es ist fast das ewige Leben – eigentlich ein religiöses Versprechen. Es gibt bei Facebook Profile von Verstorbenen, denen Freunde weiterhin jährlich zum Geburtstag gratulieren, samt virtuellem Blumenstrauß. Oder, vor allem, wenn Menschen jung sterben, werden deren Profil-Seiten nicht gleich aus dem Netz genommen, sondern von Angehörigen oder Freunden weiter gepflegt. Freunde und Bekannte drücken dort ihre Trauer aus, treffen Absprachen zur Beerdigung, laden Bilder hoch, von sich und dem Verstorbenen.
„Für viele sind Netzwerke im Internet keine Parallelwelt, sondern ein Teil ihrer Lebensrealität“, sagt Walter Lang, der Beauftragte der Diözese Würzburg für Internetseelsorge. „Sich dort zu unterhalten, ist für sie normal, auch wenn es darum geht, Trauer auszudrücken.“ Der Pastoralreferent aus Aschaffenburg erkennt dabei zwei Seiten: Anteilnahme und den Ausdruck echter Gefühle, aber auch Auswüchse, wenn im Internet hemmungslos kommentiert wird und Menschen ihre Meinungen verbreiten.
Den Austausch über Trauer hält Manfred Griebel generell für gut. Dies gilt auch fürs Internet. Doch er setzt dem klare Grenzen und stellt fest: „Es kommt immer auf die Worte an.“ Als Krankenhausseelsorger an den Haßberg-Kliniken und speziell auch als Notfallseelsorger bekommt er immer wieder mit, „wie schnell über etwas geredet wird, wie schnell manche eigene Meinungen hinausposaunen“.
Er nennt ein Beispiel, um die Gefahr zu verdeutlichen, die sich darin verbirgt: Wenn nach einem Suizid in Internet-Netzwerken Schuldfragen quasi öffentlich diskutiert werden, gepaart mit Vorwürfen, Verdächtigungen und Vermutungen, dann stelle dies für diejenigen, die dem Verstorbenen nahestanden, eine „zusätzliche Riesenbelastung“ dar. Solche Diskussionen hat es früher auch gegeben, zwischen Nachbarn, oder an Stammtischen. Doch wenn dort verletzende Worte gefallen sind, dann haben diese normalerweise die betroffenen Angehörigen nicht erreicht, jedenfalls nicht unmittelbar. Im Internet sind sie dagegen oft für jeden zu lesen, und sie verschwinden auch nicht so schnell wieder.
Griebel rät, mit Trauernden direkt ins Gespräch zu kommen, statt den Umweg übers Internet zu wählen. „Klingelt an der Tür und nehmt die Menschen, die jemanden verloren haben, in den Arm“, sagt er. Angst, etwas falsch zu machen, brauche niemand zu haben. „Es geht nur darum, da zu sein, denn vielleicht möchte der Betroffene reden.“ Die Inhalte dieser Gespräche, so kennt er es auch als Notfallseelsorger, dürften niemals öffentlich werden. Dies wäre ein extremer Vertrauensbruch. Im Internet ist das fast unmöglich: Nachrichten, die auf Facebook veröffentlicht werden, könnten genauso gut lauthals auf einem Marktplatz ausgerufen werden.
Dass man im Internet kein direktes Gegenüber hat, mit dem man sich unterhält, kann in manchen Situationen hilfreich sein. Diese Erfahrung hat Zäzilia Kehl als Beraterin des Kreiscaritasverbands Haßberge im Umgang mit jungen Menschen gemacht, die trauern. Das Bedürfnis, sich zu äußern, sei besonders bei Kindern sehr groß, sagt die Psychologin. Im Vergleich zu Erwachsenen hätten sie jedoch mehr Scheu, mit jemandem zu reden, und machen viel mit sich alleine aus.
„Manchmal reicht das Internet nicht aus, um sich auszutauschen. In solchen Fällen helfen Beratungsstellen.“ Zäzilia Kehl, Psychologin und BeraterinWenn sie sich gegenüber jemandem äußern, dann muss es jemand sein, der sie in ihren Augen perfekt versteht. „Ein soziales Netzwerk kann in dem Moment der Trauer durchaus das perfekte Gegenüber darstellen“, meint Kehl. Erinnerungen an einen Verstorbenen sind laut der Psychologin unheimlich wichtig, um das Loch zu füllen, das derjenige, der fortgegangen ist, hinterlässt. Wenn in einer solchen Situation beispielsweise ein Verstorbener in einem sozialen Netzwerk „weiterlebt“, dort weiter Fotos von ihm zu sehen sind, dann sei dies letztlich nichts anderes, als ein Fotoalbum, das man daheim aus dem Regal zieht, um Bilder aus gemeinsamen Tagen anzusehen.
Ganz wichtig sei es jedoch, so Kehl, dass Familien gemeinsam an Verstorbene erinnern. Denn Trauern ist meistens mit einem Gefühl der Leere verbunden, die rat- und hilflos macht, und oft als bedrohlich empfunden wird. „Die innere und äußere Ordnung ist durcheinander“, beschreibt die Psychologin Kehl die Lage der Betroffenen. Und um zu einer neuen Ordnung zu finden, muss der Verstorbene einen neuen Platz zugewiesen bekommen, indem er durchaus als unsichtbarer Ratgeber und Begleiter empfunden werden kann.
Auch insoweit bezeichnet Kehl die weitere Präsenz eines Verstorbenen im Internet als „eher hilfreich“. Denn vor allem für Jugendliche seien Soziale Netzwerke dort heutzutage eine täglich genutzte Plattform, um Freude, Kummer, Frust und Wut mit anderen zu teilen. Diese gewohnte Ressource in Zeiten der Trauer zu nutzen, sei gut. Nur müsse sichergestellt sein, dass dies in einem vertrauten, engen Kreis geschieht und„keine blöden Kommentare erscheinen“.
Allerdings stellt Kehl mit ihrer jahrzehntelangen Berufserfahrung ganz klar fest: „Manchmal reicht das Internet nicht aus, um sich auszutauschen. In solchen Fällen helfen Beratungsstellen.“ Wer eine solche Beratungsstelle besucht, muss keineswegs seine Anonymität aufgeben, erklärt Robert Bundschuh. Der Theologe leitet den Gesprächsladen in Schweinfurt, zu dem Menschen ohne Anmeldung kommen können, wenn sie ein Gespräch suchen, zu allen Fragen des Lebens, auch zu Tod und Trauer. 60 bis 70 Prozent der Besucher, schätzt Bundschuh, nennen ihm gegenüber zumindest beim ersten Mal keinen Namen. Seit gut 15 Jahren ist Bundschuh zudem als Internetseelsorger tätig. Wenn er Unterschiede nennen soll, zwischen seinen Beratungsgesprächen, die er von Angesicht zu Angesicht im Gesprächsladen führt, zu denen, die er online führt, per E-Mail, dann sind das „ganz wenige“. Was im Internet fehlt, seien Mimik und Gestik des Gegenübers, welche einen zusätzlichen Zugang zum Gesprächspartner eröffnen. Entgegen manchem Klischee gelangt er auch über das Internet in der Beratung schnell zu einer großen Vertrautheit, „das ist dort kein oberflächliches Geplänkel“.
Bundschuh sieht in der Internetberatung ein hilfreiches Instrument für alle, „die ernsthaft Hilfe möchten“. Er macht in den Altersklassen, die diese Form der Beratung nutzen, zwei große Blöcke aus: die etwa 20- bis 30-Jährigen sowie die 50- bis 60-Jährigen. Gerade für viele Ältere sei der Zugang übers Internet etwas Selbstverständliches, auch, weil sie sich ohnehin regelmäßig dort aufhalten, hat er erfahren.
Einer Gefahr setzen sich jedoch alle Internetnutzer aus, egal wie alt sie sind, zumindest dann, wenn sie dort öffentlich kommunizieren: Was mit dem, was sie dort einstellen oder von sich geben, geschieht, entzieht sich ihrem Einfluss. Es kann, wie Internetseelsorger Lang es beschreibt, zu einer „unkontrollierbaren Welle“ anwachsen. Seine Meinung deckt sich mit den Erfahrungen, die alle Gesprächspartner gemacht haben. Gerade weil Trauernde oftmals ohnehin darunter leiden, ihr Leben nicht mehr unter Kontrolle zu haben, kann eine solche zusätzliche schlimme Erfahrung gravierende Folgen haben.
Deshalb, so wünscht es sich Manfred Griebel, müsste es gelingen, die in sozialen Netzwerken geäußerte Trauer umzuwandeln. Wenn Menschen dadurch angeregt werden, auf Trauernde zuzugehen, wäre dies ein wirklicher Segen der Neuen Medien.